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„Wir können uns Chefs ohne Empathie nicht mehr leisten“
Der Kommunikationsexperte Sven H. Korndörffer fordert radikale Offenheit und Menschlichkeit in Unternehmen. Ein Gespräch über kalte Chefetagen, späte Entschuldigungen – und die Kunst, wirklich zuzuhören.
In vielen Chefetagen herrscht eisige Stille, wenn es um Menschlichkeit geht. Kalkulierte Strategien, KPIs, Tabellen – aber kaum ein echtes Wort über die Bedürfnisse der Menschen, die all das überhaupt möglich machen. Sven H. Korndörffer hat der emotionalen Kälte in den Führungsetagen den Kampf angesagt.
„Gib den Menschen einen Augenblick, zeig ihnen, dass du sie siehst“, fordert er. Empathie sei keine weiche Manager-Romantik, sondern eine ökonomische Notwendigkeit. In einer Zeit politischer Krisen und sozialer Zerrissenheit hält Korndörffer radikale Offenheit und ehrliches Interesse für den Kern guter Führung – und für überlebenswichtig für Unternehmen, die Menschen langfristig binden und inspirieren wollen.
Unser CREDION-Gründer Tobias M. Weitzel hat mit dem Bestseller-Autor und Kommunikationsexperten über sein Buch „Die Wertschätzungskette: Warum wir uns Chefs ohne Empathie nicht mehr leisten können“ gesprochen – und darüber, warum brillante Expertise allein noch keine gute Führungskraft macht.
„Wir müssen vom Papier zur gelebten Realität kommen“
Tobias: Du beschreibst in deinem Buch sehr lebendig dein Elternhaus. Sven, wie hat dich deine Kindheit in einem offenen und empathischen Umfeld geprägt?
Sven: Ich bin in einem kulturreichen Haus in Bonn aufgewachsen, das meine Mutter 44 Jahre lang mit ihrem Salon geprägt hat. Jeden ersten Freitag kamen bis zu 80 Menschen aus allen Lebenslagen – Künstler, Journalisten, Unternehmer, Freunde, Politiker. Meine Mutter sagte immer: „Ich liebe Menschen und ich liebe es, sie zusammenzubringen.“ Für sie stand der Mensch immer im Mittelpunkt. Das hat mein Denken stark beeinflusst. Sie hat mir vorgelebt, was empathische Führung bedeutet. Schon als Kind habe ich gelernt, auf Menschen zuzugehen, zuzuhören und Beziehungen verantwortungsvoll zu gestalten. Empathische Kommunikation ist die Grundlage für ein respektvolles Miteinander. Das bewusste Zugehen auf Menschen und echtes Zuhören – das macht den Unterschied. Warum? Weil wir Menschen sind.
Tobias: Du hast fast 30 Jahre als Kommunikationschef in der Bankenbranche gearbeitet. Welche Erfahrung hat dich veranlasst zu sagen: „Ich werde Botschafter der Wertschätzungskette“?
Sven: Meine Entscheidung für die Finanzbranche war auch geprägt von Begegnungen in meiner Jugend. Ich habe den Beruf des Bankers immer als ehrenwert empfunden – und diese Haltung hat sich während meiner Karriere bestätigt. Dabei gab es prägende Momente. Eine Führungskraft etwa hat jeden Mitarbeitenden, der das Unternehmen verließ, persönlich verabschiedet und sich bedankt. Solche Gesten zeigen, wie wichtig Wertschätzung über alle Hierarchieebenen hinweg ist. Diese Erlebnisse waren mein Fundament. Sie haben mir gezeigt, warum es wichtig war, dieses Buch zu schreiben und einen klaren Wertekompass vorzulegen, der Orientierung geben kann.
Tobias: In deinem Buch betonst du, dass Führungskräfte vor allem Mensch sein sollten. Wie lässt sich das in einer zahlengetriebenen Unternehmenswelt umsetzen?
Sven: Es beginnt damit, dass Führungskräfte selbst ihre Werte vorleben. Werte dürfen nicht nur aufgeschrieben und dann abgeheftet werden – sie müssen spürbar sein. Das bedeutet, den Menschen im Unternehmen wirklich zu begegnen, ihnen einen Moment zu schenken und ehrlich zu zeigen: „Ich sehe dich.“ Es geht um mehr als Freundlichkeit – es geht um echtes, aufrichtiges Interesse an den Menschen, die das Unternehmen ausmachen.
Tobias: Du sprichst von einer „emotionalen Kälte“ in vielen Unternehmen. Welche konkreten Maßnahmen empfiehlst du, um der Eisschrank-Atmosphäre entgegenzuwirken?
Sven: Zunächst heißt das: auf Mitarbeitende zuzugehen – mit radikaler Offenheit. Vertrauen entsteht, wenn Menschen nicht nur an meine Stärken, sondern auch an meine Fehler glauben dürfen. Je transparenter der Umgang ist, desto eher kann man offen über alles sprechen. Führung geht über die Arbeit an einer Excel-Tabelle hinaus – sie lebt vom persönlichen Austausch. Viele fürchten das. Distanz ist oft bequemer als Nähe. Manche Chefs glauben, dass Offenheit Respekt kostet. Doch das Gegenteil ist der Fall: Führung und Nähe schließen sich nicht aus. Am Ende müssen wir uns fragen: Was macht Führung wirklich aus? Der Umgang mit Menschen – nicht mit Excel-Tabellen.
Tobias: Wie kann eine Organisation den Übergang von einer traditionellen Wertschöpfungskette zu einer Wertschätzungskette gestalten?
Sven: Zuerst muss man verstehen, wie das Unternehmen wirklich funktioniert. Welche Kultur herrscht bereits? Die Herausforderung ist es, aus einem Vakuum auszubrechen. Dafür braucht es oft externe Impulse – Menschen, die auf positive Art neue Wege aufzeigen. Gleichzeitig braucht es eine klare Unternehmensstrategie. Vorstand und Führung müssen den Weg auch wirklich gehen wollen. Es geht darum, Werte vom Papier in erlebbare Realität zu überführen – durch eine Führungskultur, die es ernst meint.
Tobias: Wie reagieren Führungskräfte und Unternehmen auf deine Forderung nach mehr Empathie?
Sven: Grundsätzlich sehr gut. Viele schätzen diese ganzheitliche Perspektive: Es geht um Strategie, Kommunikation und Menschen. Meist wird das positiv aufgenommen. Die entscheidende Frage ist nur: Wird das auch wirklich verstanden oder einfach nur höflich bejaht? Ohne echten Willen zur Umsetzung kann Zusammenarbeit nicht erfolgreich sein.
Tobias: Welche Herausforderungen siehst du bei der Implementierung einer wertschätzenden Führungskultur in Konzernen? Wie würdest du Erfolg kontrollieren?
Sven: Erfolgskontrolle ist essenziell. Es braucht mehr als Mitarbeiterbefragungen – auch KPIs, die zeigen, dass Kultur wirklich gelebt wird. Man kann nicht einfach einen Kulturprozess starten und dann nicht überprüfen, ob er wirkt. Wichtig ist außerdem die Selbstreflexion – gerade auf Vorstandsebene. Führungskräfte müssen sich fragen: Was lief gut, was nicht? Sie brauchen die Fähigkeit, Fehler einzugestehen und sich dafür aufrichtig zu entschuldigen. Nur so entsteht Vertrauen. So können Chefs echte Motivation schaffen.
Tobias: Was ist deine Vision? Wie würde ein Unternehmen aussehen, das die Wertschätzungskette lebt?
Sven: Führung braucht einen klaren Wertekompass, Innovationsfreude, radikale Offenheit und Entscheidungsstärke – gepaart mit einer Haltung, die auch gesellschaftliche Verantwortung mitdenkt. Das muss sich von oben nach unten durchziehen. Führungspositionen – ob Bereichs- oder Teamleiter – müssen mit Menschen besetzt sein, die genau das können: klar entscheiden, offen kommunizieren und empathisch führen. Wichtig ist auch, zwischen exzellenter Fachkraft und exzellenter Führungskraft zu unterscheiden. Nicht jede Fachkraft ist automatisch eine gute Führungskraft. Es braucht Menschen in Schlüsselpositionen, die Kultur prägen und leistungsfähig sind. Und klar ist: Das braucht Zeit.

„Ich wünsche mir, dass alles so bleibt, wie es ist!“
Wir freuen uns, euch heute unsere Kollegin Katrin Rohwedder im Rahmen unserer Interviewserie "6 Fragen an…" näher vorzustellen. Seit Katrin Teil der CREDION-Familie ist, hat sie es immer wieder geschafft, uns mit Ihrem feinen Gespür für das Wesentliche und Ihrer Gabe, in turbulenten Momenten eine wohltuende Klarheit und Ruhe auszustrahlen, zu inspirieren. Was uns besonders beeindruckt: Ihr präziser Blick für Details, gepaart mit einer bemerkenswerten Fähigkeit, ein scharfes und kritisches Auge mit einer herzlichen Art zu vereinen.
10.12.2024

Regisseur und Autor Calle Fuhr im CREDION-Interview
Regisseur und Autor Calle Fuhr im CREDION-Interview: Mich treibt die Neugier auf das, was heute entstehen wird! Vor kurzem stand Calle Fuhr in Hamburg bei CREDION auf der Bühne. Der Regisseur, Schauspieler und Autor, hat uns und unseren Gästen „Aufstieg und Fall des René Benko“ und das Wirkprinzip seiner aggressiven Expansion unterhaltsam illustriert, uns auf den Gipfel des deutschen Schuldenberges begleitet, die wirkmächtigen Analysen von Kenneth Rogoff und Carmen Reinhart zu Schuldenquoten von Staaten ins Visier genommen und zugleich ergreifende Erlebnisse geteilt, die uns alle zuversichtlich stimmen. Heute steht er in einem Interview Rede und Antwort, was ihn motiviert, was ihn bewegt und was ihn aktuell beschäftigt.
30.10.2024