04.07.2022

Die Zukunft des Geldes - Ein Interview mit Harald Heider

Credion Portrait

“Der Mensch ist immer gerne bereit sehenden Auges in das eigene Unglück zu rennen” - Harald Heider

T.M. Weitzel: Wenn Bargeld die „geprägte Freiheit“ ist: Hat die Freiheit im Zahlungsverkehr dann noch eine Zukunft?
H. Heider: Tatsächlich werden in Deutschland im Bereich der privaten Haushalte noch weit mehr als die Hälfte aller Transaktionen mit Bargeld beglichen, auch wenn der Umsatz-Anteil des Bargeldes schon weniger als ein Drittel beträgt. Die Abschaffung des derzeit einzigen gesetzlichen Zahlungsmittels steht momentan nicht auf der Agenda der Zentralbank, auch wenn sie von hoheitlicher Seite durchaus Vorteile bringen würde. Beispielsweise eine exaktere Kontrolle der Zahlungsströme und ein Mittel zur Eindämmung der Schattenwirtschaft und der Steuerhinterziehung. Allerdings müsste gewährleistet sein, dass die Bürger dann nicht auf Bargeld-Parallelwährungen wie beispielsweise Schweizer Franken, US-Dollar oder digitale Bitcoin ausweichen können.

T.M. Weitzel: Du siehst also weiterhin eine Zukunft für das Bargeld, auch wenn derzeit 80 Zentralbanken an der Einführung einer digitalen Währung arbeiten?
H. Heider: Die EZB hat sich deutlich positioniert und verkündet Bargeld in naher Zukunft nicht abschaffen zu wollen. Bargeld ist aktuell das einzige gesetzliche Zahlungsmittel, das im Euroraum Verwendung findet. Noch gibt es kein Digitales Zentralbankgeld für Nichtbanken, aber das könnte sich bald ändern. Eine Möglichkeit wäre, dass auch private Haushalte Zugang zu Zentralbankkonten erhalten und damit Zugang zu digitalen Zahlungsmitteln bekommen, die direkt von der EZB ausgegeben werden. Das hätte den Vorteil, dass ein Bank-Run, bei dem Kunden aus Sorge vor einem Verlust ihr Bankforderungen aus Girokonten panikartig Bargeld bei ihrer Bank abheben wollen. Das würde die Geschäftsbank in Schwierigkeiten bringen. Heute ist das durchaus noch zumindest ein theoretisches Risiko: Das derzeit vorhandene Giralgeld ist kein gesetzliches Zahlungsmittel. Würde es heute zu einem Bank-Run kommen, wäre die Auszahlung aller Ansprüche in Bargeld derzeit gar nicht möglich, denn die Forderungen gegen die Banken sind nur zum Teil durch Bargeld gedeckt. Den Banken könnte also das Bargeld ausgehen. Durch die Einführung des digitalem Zentralbankgeldes, das eine Forderung gegen die EZB darstellen würde, wäre das Problem behoben.

T.M. Weitzel: Siehst Du auf Dauer eine Koexistenz zwischen Bargeld-Euro und Digitalem Euro?
H. Heider: Ich denke schon, dass es eine Koexistenz geben kann und auch wird. Da gibt es verschiedene Szenarien. Zunächst könnte der digitale Euro Unternehmen vorbehalten sein. Bis das dann auf individueller Ebene und den privaten Haushalten angekommen ist, wird es wohl noch etwas dauern. Am Ende wird wohl ein Nutzungswettbewerb zwischen den Alternativen entscheiden, inwieweit das Bargeld in Zukunft auch weiter eingesetzt wird. Die globale Tendenz zeigt einen klaren Trend: Der Bargeld-Einsatz wird deutlich zurückgehen und zunehmend durch den Einsatz elektronischen Geldes substituiert.

T.M. Weitzel: Wenn Du an den Wettbewerb zwischen den Krypto-Währungen wie Bitcoin, Ethereum oder Tether und den gesetzlichen Zahlungsmitteln wie Euro oder Dollar denkst: Werden die Zentralbanken über den Leitzins die Kontrolle über den Außenwert unserer aktuellen Leitwährung behalten können oder wird die Kontrolle über unsere - neue? - Leitwährung in ein dezentrales Netzwerk verlagert?
H. Heider: Man kann sicher davon ausgehen, dass die EZB und die nationalen Zentralbanken die Stellung des Euro als Leitwährung in Europa mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verteidigen werden und auch können. Allein schon die Funktion als gesetzliches Zahlungsmittel verschafft dem Euro einen deutlichen Vorteil gegenüber anderen Asset-Klassen. Natürlich lassen sich mit Krypto-Währungen internationale Zahlungstransaktionen recht einfach und auch weitgehend anonym gestalten. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die hohe Volatilität der Kryptowährungen und auch die ertragsteuerlichen Implikationen bei der Nutzung von Kryptowährungen ein deutliches Hindernis bei dem flächendeckenden Einsatz als Zahlungsmittel darstellen. „Vergisst“ man beispielsweise in der Steuererklärung die Angabe von erzielten Kursgewinnen innerhalb der Spekulationsfrist von 12 Monaten, erfüllt man sehr schnell den Tatbestand der Steuerhinterziehung - zumal die Finanzgerichte in ihren Entscheidungen bisher ein strukturelles Vollzugsdefizit verneint haben. Zudem ist die technische Blockchain-Infrastruktur noch nicht soweit skalierbar um die, mit den gewaltigen Zahlungsströme im Bankensektor vergleichbaren, Volumina abwickeln zu können.

T.M. Weitzel: Welche Vorteile bieten Digital- bzw. Kryptowährungen wie der Bitcoin und was hat das mit der Blockchain zu tun?
H. Heider: In gewisser Weise lassen sich Kryptowährungen wie Bitcoin grenzüberschreitend – soweit von der Gegenseite akzeptiert – zur Zahlung einsetzen, ohne dass Fremdwährungen zum Einsatz kommen müssen. Die Zahlungstransaktionen erfolgen dann über das Internet zwischen Blockchain- Adressen, die sogenannten Wallets verknüpft sind, die allerdings nicht direkt oder nur mit einem erhöhten Rechercheaufwand einem steuerbaren Wirtschaftssubjekt zugeordnet werden können. Die Transaktionen erfolgen deshalb unter Pseudoanonymität. Die Zahlungshistorie wird weitgehend fälschungssicher und nachvollziehbar auf einer Blockchain, oder allgemeiner einer Distributed Ledger Struktur gespeichert. Der jeweilige Status der Besitzverhältnisse einer Blockchain-Adresse wird durch eine Konsensmechanismus der Marktteilnehmer festgestellt.

T.M. Weitzel: Erfüllt dieses „neue Geld“ noch die drei wesentlichen Funktionen als Tauschmittel, als Recheneinheit oder als Wertspeicher?
H. Heider: Grundsätzlich bieten Kryptowährungen die theoretischen Voraussetzungen und die notwendigen Konstruktionsmerkale, um diese drei Funktionen erfüllen zu können. Die Funktion als Tauschmittel ist davon abhängig wie viele Marktteilnehmer die jeweilige Kryptowährung als Zahlungsmittel akzeptieren. Derzeit muss allerdings einschränkend bemerkt werden, dass die aktuelle Blockchain-Infrastruktur eben noch nicht zur Bewältigung großer Transaktionsvolumina ausgelegt ist. Die Funktion als Recheneinheit ist aufgrund der Teilbarkeit der meisten Kryptowährungen gewährleistet. Der Funktion als Wertspeicher muss ambivalent beantwortet werden. Angesicht erheblicher eigendynamischer Wertschwankungen ist die Speicherfunktion in Phasen fallender Kurse eher nicht gewährleistet. Steigen die Kurse, freut sich der Besitzer über zusätzliche Wertsteigerungen. Eine Realwertsicherung gegen Inflation ist bisher nicht erkennbar, auch wenn die Befürworter dies mit der fixen Obergrenze von 21 Millionen Bitcoins als die maximal verfügbare Anzahl begründen. Insgesamt mag Bitcoin zwar die Tauschfunktion erfüllen. Bei der Wertaufbewahrung ist der Bitcoin bisher allerdings ein Flop. Faktisch ist der Bitcoin eine unkontrollierte Währung, die keine Sicherheit bietet. Es gibt keine Gegenpartei die ein Leistungsversprechen abgegeben hätte. Gleichzeitig haben die gestiegenen Energiekosten das Mining von Bitcoin erheblich verteuert. Ergebnis ist eine immer geringere Rechenleistung des Netzwerks - die sogenannte Hashrate sinkt. Viele Miningfarmen müssen sogar Bitcoin bei fallenden Kursen verkaufen, um ihre laufenden Kosten zu decken. Gleichzeitig werden die Gebühren für jede Transaktion teurer. Das hat in den letzten Wochen bereits eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Ich bin der Meinung, dass die Blockchain-Technologie viele Anwendungen finden kann. Allerdings nicht primär als Währung.

T.M. Weitzel: Du hast es angesprochen: Der Bitcoin ist bei der Wertaufbewahrungsfunktion bisher ein Flop. Gerade vor dem Hintergrund hoher Inflationsraten wäre die Wertspeicher-Funktion überragend wichtig. Siehst Du in Kryptowährungen ein geeignetes Instrument, um sich gegen Inflation zu schützen?
H. Heider: Funktionierendes Geld zeichnet sich dadurch aus, dass die relativen Preise der Güter und Dienstleistungen in einem Währungsraum in Geldeinheiten gemessen im Zeitlauf weitgehend stabil bleiben. Ein Anstieg des Preisniveaus gegenüber dem Geld wird dann als Inflation bezeichnet. Die Wertspeicherfunktion ist dann intakt, wenn der Wert zwischen dem Erwerbs- und Veräußerungszeitpunkt zumindest stabil bleibt. Da sowohl Zentralbankgeld als auch Kryptowährungen über keinen intrinsischen Wert verfügen, ist der beigemessene Wert ausschließlich auf das Vertrauen der Nutzer in die Wertstabilität basiert. Während eine Zentralbank über eine Reihe von Instrumenten verfügt, um dieses Vertrauen durch entsprechend Steuerungsmaßnahmen zu rechtfertigen, steht bei den Kryptowährungen ausschließlich das Narrativ der technisch begrenzten Zahl an Coins als Argument zur Verfügung. Die Antwort ist also: Nein, Kryptowährungen konnten bisher nicht den Beweis erbringen als Inflationsschutz dienen zu können.

T.M. Weitzel: „Unsere Arbeit soll sicherstellen, dass Privatpersonen und Unternehmen im digitalen Zeitalter weiterhin Zugang zur sichersten Form von Geld haben: Zentralbankgeld.“ So hat EZB-Präsidentin Christine Lagarde den digitalen Euro für 2023 angekündigt. Wird der digitale Euro das „Aus“ für die digitalen Alternativwährungen besiegeln?
H. Heider: Bislang haben die Nichtbanken keinen Zugang zu digitalem Zentralbankgeld, sondern nur in zu der physischen Variante des Bargeldes. Digitales Zentralbankgeld würde tatsächlich in direkter Konkurrenz zum Giralgeld des Bankensektor stehen. Die Argumente für die dezentralen verwalteten Kryptowährungen wären weiterhin vollumfänglich gültig. Wer kein Vertrauen in das etablierte Bankensystem hat, wird dann auch weiterhin diese Alternativen nutzten wollen. Meines Erachtens wäre digitales Zentralbankgeld also keine Killerkriterium für Kryptowährungen, auch wenn vor dem Hintergrund der extrem hohen Volatilität Kryptowährungen durchaus kritisch zu sehen sind.

T.M. Weitzel: Wird dezentrales Nicht-Zentralbankgeld durch Geldwäsche diskreditiert oder wird die digitale Historie jedes Zahlungsmittels dazu beitragen, Geldwäsche besser bekämpfen zu können?
H. Heider: : Derzeit ist die Situation rund um Kryptowährungen recht komplex. Zunächst ist die Tatsache festzuhalten, dass Transaktionen zwischen Blockchain-Adressen stattfinden, die wie schon erwähnt nicht direkt Wirtschaftssubjekten zugeordnet werden können. Der Zugriff auf die mit einer Blockchain-Adresse verknüpften Kryptowährungen ist nur über den Private Key möglich.  Dieser ist nicht mit einen zweifelsfrei identifizierbarem Wirtschaftssubjet verbunden. Aufgrund der ertragsteuerlichen Behandlung von Transaktionen würden ertragsteuerlich relevante Transaktionen sehr schnell den strafrechtlich relevanten Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen, wenn das Steuersubjekt die Besitzverhältnisse und steuerrechtlichen Tatbestände, nicht gegenüber den Finanzbehörden offenlegt.

Dagegen müssen die Marktteilnehmer, die am Kryptomarkt über einen Broker teilnehmen und ein Online-Wallet des Anbieters nutzten, im Rahmen der Know-Your-Customer-Anforderungen – KYC – des Brokers ihre Identität gegenüber dem Broker offenlegen. Ich bin mir sicher, dass die staatlichen Aufsichtsorgane im Rahmen der Marktregulierung, zunehmend die Pseudoanonymität aufweichen und eine zwingend nachvollziehbare Zuordnung der Blockchain-Adressen zu den Wirtschaftssubjekten anstreben werden. Insbesondere die „unhosted Wallets“ müssten dann im Rahmen einer Transaktion das agierende Wirtschaftssubjekt dahinter offenbaren. Aktuell fungieren die Kryptowährungen nach wie vor als Zahlungsmittel im Rahmen illegaler Transaktionen im sogenannten Darknet. Ein großer Vorteil der Kryptowährung wäre damit verloren.

T.M. Weitzel: Was bedeutet die Transformation des führenden Zahlungsmittels für unsere Zukunft? Wie würde das “Bezahlen” in 25 Jahren aussehen?
H. Heider: Wenn die nationalstaatlichen Regierungen nicht Einhalt gebieten, wird es große Anbieter geben, die den Zahlungsverkehrsmarkt dominieren werden. Es wird große Zahlungsdienstleistungsanbieter geben, die zusätzlich zu den performanten Zahlungsfunktionen auch immer mehr Services integrieren werden, sodass die Nutzer ein Wohlfühlpaket bekommen und im Grunde innerhalb eines Zahlungsmediums verbleiben können ohne wechseln zu müssen. Zahlungen werden auf großen Plattformen abgewickelt unter Ausnutzung massiver Netzwerkeffekte, die für jeden Teilnehmer mit Nutzungsvorteilen verbunden sind. Es wird immer konsumfreundlicher gestaltet werden. Einkaufen, Bezahlen, Transfers, Chatten, etc. Diese Zahlungssysteme werden weiter genutzt werden und eine Dominanz entwickeln. Nicht von ungefähr verfügen die großen chinesischen Internet-Konzerne über die mit Abstand meisten Patente rund um die Blockchain-Technologie.